UMWELT- UND KULTURZERSTÖRUNG
IM SÜDEN CHILES
Die Vertreibung der Mapuche
HARTNÄCKIG verstärkt die chilenische Regierung den Druck auf
Spanien und Großbritannien, um General Pinochet den Prozess zu ersparen,
der ihm bevorstehen könnte. Gegenüber sozialen Aktivisten zeigt
das Regierungsbündnis nicht die gleiche Besorgnis. Die Mapuche-Indianer
in Südchile etwa, die gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes
durch nationale und internationale Forst- und Elektrizitätsunternehmen
kämpfen, finden kein Gehör. Der Kampf der Mapuche für ihr
Land, ihre Kultur und Religion und für ein selbtbestimmtes Leben erinnert
in manchen Aspekten an denjenigen, den die Zapatisten in Chiapas oder die
Landlosen in Brasilien führen.
Von JAIME MASSARDO *
* Verfasser des Buchs mit dem französischen Titel
"Civilisation latino-américaine. Notes de cours", gemeinsam mit
Alberto Suárez, Paris (Ellipse) 1999.
Schweine", "Hunde", "Scheißindi-os" ... Weder der Sprachgebrauch
noch die Methoden der Spezialeinheiten der chilenischen Polizei haben sich
seit jenem Septembertag des Jahres 1973 besonders verfeinert, als Präsident
Salvador Allende gestürzt und die Aktivisten der Unidad Popular zu
Tausenden inhaftiert wurden. Innerhalb von nur zwei Tagen wurden am 18.
und 19. Februar 1999 in den südlichen Provinzen Bio Bio und Traiguén
dreiundvierzig Mapuche-Indianer, Öko-Aktivisten und mit ihnen sympathisierende
Studenten verhaftet. Bei der vorausgegangenen Repressionswelle im Zeichen
der Fahndung nach angeblichen "Terroristen" waren dreißig Menschen
verletzt worden, einige davon schwer. Im März verschärfte sich
die Lage noch. Das gemeinsame Vorgehen von Polizei und privaten Schutztruppen
- mit deren Hilfe die Forstwirtschaftsunternehmen den Anspruch der Mapuche
auf das Land ihrer Vorfahren auf ihre Art regeln wollen - führte zu
etwa zweihundert Festnahmen, einem Dutzend Verletzten und materiellen Schäden
von mehreren zehntausend Dollar. José Ignacio Letamendi, der Vorsitzende
des Holzunternehmerverbandes, erklärt kategorisch: "Auf gar keinen
Fall und unter keinen Umständen werden wir das Land an die Mapuche
abtreten, die sowieso nicht imstande sind, es zu bebauen."(1)
Zwischen dem 20. Mai und dem 17. Juni marschierten Tausende dieser
Mapuche von der Stadt Temuco im Herzen ihres Territoriums aus in die 637
Kilometer entfernte chilenische Hauptstadt Santiago. Sie wollten öffentlich
darauf aufmerksam machen, dass ihre Gebiete besetzt sind, ihre Leute verdrängt
werden, ihre Lebensbedingungen sich immer weiter verschlechtern und das
ökologische Gleichgewicht der Region, in der sie leben, in höchstem
Maße gefährdet ist.
Die Mapuche hatten mit ihren Protesten hauptsächlich die Konzerne
Angelini und Matte-Larrain im Visier, die sowohl die Besetzung der Indianergebiete
als auch verschiedene Gewaltakte zu verantworten haben - ganz besonders
aber die Gesellschaft Forestal Mininco, eine Tochterfirma des zweiten Konzerns,
die in Traiguén und Lumako Wälder abgeholzt hat, die seit Urzeiten
den indigenen Gemeinschaften gehörten. Auch das Elektrizitätsunternehmen
Endesa - dessen Mehrheitsaktionärin die spanische Gesellschaft Conama
ist - wird angeklagt: Endesa legt derzeit einen gigantischen Stausee mit
einer Fläche von 3 467 Hektar und einer Tiefe von 155 Metern an, um
das Wasser des Bio-Bio-Flusses hoch oben in den Anden zurückzuhalten.
Dadurch würde nicht nur das ökologische Gleichgewicht der ganzen
Region zerstört, sondern der Stausee würde Grund und Boden der
indianischen Gemeinschaften dauerhaft unter Wasser setzen.
Dem "langen Marsch" der Mapuche auf Santiago folgten zahlreiche Demonstrationen,
die jedoch immer nur erneute Repression auslösten. Dennoch wird "die
Mobilisierung fortgesetzt, solange die chilenische Regierung sich weigert,
unsere Forderungen anzuhören, und sich nicht auf eine politische Lösung
einlässt, die für unser Volk günstig ausfällt ...",
so eine Organisation der Mapuche-Gemeinschaften.(2)
Die Volksgruppen der Huenteche, Huiliche, Labfquenche, Nagche und
Pehuenche, die sich auf die Provinzen Arauco, Bio Bio, Cautin, Chiloé,
Malleco, Osorno und Valdivia verteilen - also auf den Süden des chilenischen
Territoriums -, bilden zusammen mit der Ethnie der Puelche in der argentinischen
Pampa das Volk der Mapuche, das sich über seine Beziehung zur Erde
definiert (Mapu = Erde, Che = Mensch). Ihr Konflikt mit den
Holzwirtschaftsunternehmen ist nur die Fortsetzung der Kämpfe, die
diese "ersten Guerilleros Lateinamerikas"(3) über fünf Jahrhunderte
lang geführt haben, um ihre Gebiete zu verteidigen: zuerst gegen das
Inka-Reich, dann gegen das spanische Imperium und seit dem 19. Jahrhundert
gegen die chilenische Oligarchie. Ein eigentlicher Wendepunkt war 1641
der Vertrag von Quilin, mit dem 20 der insgesamt 30 Millionen Hektar des
Mapuche-Territoriums amputiert und der Kolonialmacht Spanien einverleibt
wurden. Seitdem werden die Mapuche auf die Gebiete südlich des großen
Bio-Bio-Flusses abgedrängt, der ihrem Gebiet gewissermaßen eine
natürliche Grenze setzt.
Kahlschlag in den Mapuche-Wäldern
NACH der Unabhängigkeit von Spanien vereinnahmte die chilenische
Oligarchie diese Kämpfe, die teilweise offen und teils verdeckt ausgetragen
worden waren; sie schrieb sich den Mut der Mapuche im Kampf gegen die Spanier
auf die eigenen Fahnen, während sie sich gleichzeitig der Mapuche-Ländereien
bemächtigte und dem Begriff "Indio" eine sehr abschätzige Bedeutung
verlieh. Die Triebkraft dieser doppelten Anmaßung war das Bedürfnis
nach neuen Agrarflächen für den Getreideanbau. Im Jahr 1881 schließlich
wurde das Mapuche-Territorium militärisch besetzt, und es kam zu einem
Genozid an der Bevölkerung, den die offizielle chilenische Geschichtsschreibung
heute noch euphemistisch als "Befriedung Araukaniens" bezeichnet.(4)
Mit Ausnahme der Regierungen der Frente Popular (1938-1941) und der
Unidad Popular von Salvador Allende (1970-1973), die in der chilenischen
Geschichte zwei wirkliche Sonderfälle darstellen, hat auch die spätere
Entwicklung der Republik an dieser Grundtendenz nichts geändert. Im
Gegenteil, während der Diktatur von Augusto Pinochet wurde der Enteignungsprozess
der Mapuche-Ländereien noch beschleunigt.(5) 1974 erließ Pinochet
das Gesetz Nr. 701: 300 000 Hektar, die im Rahmen der Agrarreform von Salvador
Allende Migliedern der indigenen Gemeinschaften zugeteilt worden waren,
wurden diesen wieder abgenommen und verkauft oder Holzfirmen bzw. früheren
Großgrundbesitzern dieser Region zur Verfügung gestellt.(6 )Auch
nach 1989 haben die beiden aus Christdemokraten und Sozialisten zusammengesetzten
Regierungen der Concertación an diesem Kurs wenig geändert:
Sie haben die Struktur des Agrarlandbesitzes reformiert und dabei ganz
offen die Niederlassung multinationaler Holzwirtschaftsunternehmen begünstigt.
So haben die beiden Großkonzerne Matte-Larrain und Angelini
im Rahmen der weltweit steigenden Nachfrage nach Holz und Holzderivaten
das Mapuche-Territorium in ein privates Jagdrevier verwandelt. Ersterer
kontrolliert über seine Forstwirtschaftsunternehmen - Asseraderos
Miningo, Servicios Forestales Escuadrón, Inmobiliaria Pinares, Sociedad
Forestal Crecex S.A., Forestal Rio Vergara und Agricola y Ganadera Monteverde
- über 40 Prozent der Ausbeutung und des Exports von Holz im Mapuche-Gebiet.
Der zweite besitzt gemeinsam mit dem US-amerikanischen Konzern International
Paper und der Neuseeländischen Gruppe Carter Holt Harvey die Unternehmen
Celarauco, Forestal Cholguán und Aserraderos Arauco. Diese Firmen
wiederum bestreiten mit ihren Filialen Celulosa Arauco und Constitución
und mit 107 Millionen Dollar Jahresumsatz 24 Prozent des gesamten Exports
von Mapuche-Holz in die Vereinigten Staaten, nach Japan, China und Südkorea.(7)
Die Standortwahl der Konzerne Matte-Larrain und Angelini wurde durch
jenes ökonomische Modell ermöglicht, das die Militärs zwangsweise
einführten und die Concertación anschließend perfektionierte:
sehr niedrige Löhne, kein Streikrecht, keinerlei Schutzvorschriften
für die Arbeiter - die in der Mehrzahl Mapuche sind -, und vor allem
gesetzliche Klauseln, die innerhalb kürzester Fristen das Schlagen
uralter Baumarten wie Encina, Maieo, Roble und Rauli erlauben, deren Regenerierungsfähigkeit
innerhalb relativ kurzer Zyklen keineswegs gesichert ist.(8)
Diese Politik hat dazu geführt, dass die Fläche, auf der
in der Mapuche-Region Holz geschlagen wird, sich zwischen 1976 und 1997
um 53 Prozent ausgedehnt hat - insgesamt sind es 1 677 000 Hektar.(9) Im
selben Zeitraum schrumpften die Anbauflächen für Weizen und Mais,
mit denen der direkte Bedarf der Gemeinschaften abgedeckt wurde, um 29
respektive 21 Prozent.(10) Die Katasteraufnahme ursprünglicher Wälder,
die die nationale Waldvereinigung Conaf, eine Regierungsbehörde, kürzlich
durchgeführt hat, weist ihrerseits darauf hin, dass die natürliche
Vegetation im Mapuche-Gebiet "durch chemisch verseuchten Regen sowie durch
Waldbrände beschädigt wurde", ja sogar speziell durch die Auswirkungen
von Natriumsulfat, Chlor und Erdöl, die bei der Verarbeitung von Holz
in Zellulose zum Einsatz kommen.(11)
Wenn die natürliche Vegetation verschwindet, hat das wiederum
schädliche Auswirkungen auf die Bodenqualität. Die Conaf räumt
ein, dass in der Mapuche-Region "75 Prozent der produktiven Böden
einen hohen Erosionsgrad aufweisen, der zu 98 Prozent von Menschenhand
verursacht ist". Darüber hinaus stellt die Studie fest, dass "Armut
und ländlicher Lebensstil sich auf die Böden negativ auswirken,
da ihnen keine Ruhephasen zugestanden werden und nur Produkte für
den unmittelbaren Ernährungsbedarf angebaut werden". Da der Waldbestand
nur alle zwanzig Jahre überprüft wird, müssen all diese
Zahlen noch nach oben korrigiert werden.
"Die Forstwirtschaftsunternehmen produzieren auf kommunaler Ebene
keine Ressourcen und schaffen auch keine Arbeitsplätze für Menschen
aus der Region", kommentiert der Mapuche-Anführer Adolfo Millabur-Ancuil.
"Sie bezahlen keinerlei Steuern. Im Gegenteil, infolge des Gesetzesdekrets
Nr. 701 werden sie vom Staat subventioniert, der ihnen proportional zur
bewirtschafteten Anbaufläche ihr Investitionskapital zurückerstattet.
Ihre Lastwagen und schweren Maschinen zerstören die Wege, ohne dass
sie sich in irgendeiner Form um die Anwohner scheren."(12)
Die negativen Auswirkungen der Holzwirtschaft auf die Bodenqualität
schränken den für die Subsistenzkultur nutzbaren Raum immer mehr
ein und zwingen dadurch die Bevölkerung zur Migration in die Städte
- 45 Prozent der Mapuche-Bevölkerung, d. h. 500 000 Menschen, leben
bereits in Santiago. Die Forstwirtschaft zerstört nachhaltig die Beziehung
der Mapuche-Gemeinschaften zur Erde, die nicht nur ihre Lebensgrundlage
darstellt, sondern auch die materielle Basis ihres kollektiven Gedächtnisses.
Die Erde ist der Ort, wo ihre Vorfahren begraben sind und wo ihre Götter
leben, der Ursprungsmythos und Ausgangspunkt ihrer symbolischen Repräsentation,
die Grundlage ihrer Riten und ein konstitutiver Bestandteil ihrer Identität.
Der Marsch der Mapuche von Temuco nach Santiago sowie die darauf
folgenden Demonstrationen knüpfen einerseits an die fünfhundert
Jahre alte Kampfgeschichte an und verdeutlichen andererseits, dass es nicht
nur darum geht, den Grund und Boden zu verteidigen, sondern auch die indigenen
Gemeinschaften selbst.(13) Die Concertación-Regierung tut so, als
ginge sie der Konflikt nichts an. Planungsminister Germán Quintana
erklärte: "Die Mapuche müssen ihre Probleme mit den politischen
Parteien und nicht mit der Regierung diskutieren."(14) Der christdemokratische
Präsident Eduardo Frei weigerte sich nicht nur, den Vorsitzenden des
Consejo de Todas las Tierras (Rat aller Ländereien), Aucán
Huilcamán, zu empfangen, sondern auch eine Delegation, die ihm ein
Dokument mit Vorschlägen zur Beilegung des Konflikts überreichen
wollte.
dt. Miriam Lang
Fußnoten: (1)Punto Final,
Santiago, März 1999.
(2) "Emarichiweu!" ("Zehn Mal werden wir siegen!"),
Comunicado Público de la Coordinadora Mapuche Arauco-Malleco, Territorio
Mapuche, 27. Juli 1999.
(3) Luis Sepúlveda, "Patagonien Express", aus
dem Span. von Willi Zubrüggen, Frankfurt am Main (Fischer Taschenbuch)
1998.
(4) Als "Araucanos" bezeichnen Spanier und
Chilenen die Mapuches.
(5) Siehe die Gesetze Nr. 2 568 und Nr. 2 750 über
die Aufteilung von Gemeindeländereien.
(6) Lateinamerikanische Informations-Agentur (alai),
Quito, Ecuador, 12. April 1999.
(7) Siehe Comisión Económica para América
Latina (Cepal), "Forest area", in: "Statistical yearbook for Latin America
and the Caribbean", UNO 1998.
(8) Siehe Nicolo Gligo: "Situación y perspectivas
ambientales en América Latina", Revista de la Cepal, Nr.
55, Santiago de Chile, April 1995.
(9) Siehe Cepal, "Forest area", a. a. O.
(10) Siehe Cepal, "Quantum indexes of agricultural
production" und "Maize production", in: "Statistical yearbook for Latin
America and the Caribbean", a. a. O.
(11 )"Catastro de Bosque Nativo", Corporación
Nacional Forestal, Santiago de Chile 1999.
(12) Siehe Punto final, Santiago de Chile,
14. April 1999.
(13) Für mehr Informationen siehe http://
www.soc.uu.se/mapuche.
(14)La Tercera, Santiago de Chile, 20. Juni
1999.
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